Zusammen stark sein – Ein gehörloser Deutscher in Nordkorea

Robert Grund setzt sich für gehörlose Menschen in Nordkorea ein. Er selbst ist gehörlos in vierter Generation. Als offizieller Vertreter des Gehörlosenweltverbandes in Nordkorea will er Betroffene vor Ort bestärken, ihr Leben für sich und andere selbst in die Hand zu nehmen. Der erste Gehörlosenkindergarten sowie ein Gehörlosenzentrum in der Hauptstadt sind dabei erst der Anfang.

01.03.2016

Die Skype-Verbindung steht. Von der anderen Seite winken mir Robert und seine Gebärdensprachdolmetscherin Anja Bäuerle* entgegen. Ich freue mich, dass die Leitung ausnahmsweise so gut hält. Wir duzen uns. Das ist in der Gebärdensprache so üblich. Das förmliche Sie gibt es nicht. Eigentlich schade, dass es so etwas nicht auch in der hörenden Gesellschaft gibt. Es würde viele Dinge sicherlich einfacher machen.

Ich komme gleich zur Sache und möchte von Robert wissen, warum er gerade in Nordkorea Entwicklungsarbeit betreibt. Immerhin liegt das Land knapp 8.200 Kilometer Luftlinie von Deutschland entfernt und auch die angespannte politische Lage machen einen Besuch in Nordkorea nicht gerade zu einem Urlaubserlebnis der Superlative.

Robert lacht und gibt mir zu verstehen, dass dies eigentlich immer die erste Frage sei, die er beantworten müsse. Mit 15 erfuhr er, dass es in Nordkorea angeblich keine Gehörlosen gäbe – sie quasi inexistent seien. Doch damit wollte er sich nicht abfinden: Mit 18 Jahren beantragte er also sein erstes Visum, um mit Gehörlosen in Nordkorea in Kontakt zu treten. Ein schwieriges Unterfangen, wie sich herausstellen sollte. Niemand konnte oder wollte ihm vor Ort Auskunft geben. Erst 2006, drei Jahre später, traf er den ersten und gleichaltrigen koreanischen Gehörlosen. Dieser hatte wiederum bis dahin angenommen, es gäbe nur in Nordkorea Gehörlose.

Roberts Hartnäckigkeit überzeugte letztendlich die Verantwortlichen in Nordkorea. Sie baten ihn wiederzukommen und dabei zu unterstützen, die Lebensbedingungen für gehörlose Menschen im Land zu verbessern. Eine konkrete Idee gab es auch schon: Die Nordkoreaner wollten in Hamhung, der zweitgrößten Stadt Nordkoreas, eine Schule für gehörlose, blinde und nicht behinderte Kinder eröffnen. Der deutsche Botschafter in Pjöngjang ermutigte Robert letztendlich dazu. Auf kleinere Projekte könnten größere folgen. Und so entschied Robert, es zu versuchen.

Unterstützt wurde er dabei von Dr. Barbara Unterbeck. Sie war es auch, die die Idee hatte, einen Verein zu gründen. Da ein so großes Projekt nur gemeinsam zu realisieren ist, wurde es "ZUSAMMEN – Bildungszentrum für gehörlose, blinde und nicht behinderte Kinder Hamhung e.V." getauft. Robert selbst ist jetzt der stellvertretende Vorsitzende des Vereins, der sich zusätzlich auch aktiv in der Blindenarbeit engagiert. Die bisherigen Erfolge verdankt der Verein dem Einsatz seiner vielen verschiedenen Mitglieder, die durch ihre Zusammenarbeit den Vereinsnamen so richtig mit Leben erfüllen.

Behinderung ist ein Tabuthema

Die Aussage, in Nordkorea gäbe es keine Gehörlosen, kommt leider nicht von ungefähr. Immer wieder hört man von Säuberungsaktionen, denen Menschen mit Behinderung zum Opfer fallen und Internierungslagern, in denen sie umerzogen oder für Versuche benutzt werden. Ich frage Robert, ob Behinderte in Nordkorea wirklich so menschenunwürdig behandelt werden:

"Natürlich wird in den Medien auch viel gepuscht. Das macht es schwierig die Situation einzuschätzen", antwortet Robert. "Gehörlose sind in der nordkoreanischen Gesellschaft praktisch nicht integriert, sie werden ausdrücklich ausgeschlossen und leben am Rand der Gesellschaft. Man schämt sich für sie. Viele verstecken daher ihre Kinder vor der Gesellschaft. Das passiert nicht nur in Nordkorea, sondern auch in vielen anderen asiatischen Ländern." Seiner persönlichen Einschätzung nach sei dies aber nicht politisch begründet. Vielmehr seien es kulturelle Hintergründe, die die Lebensqualität von Menschen mit Behinderung einschränken.

Dass die Politik sich sehr wohl für die Belange von Menschen mit Behinderung interessiere, zeige daher Roberts eigene Präsenz in Nordkorea. Immerhin sei er auf Wunsch der Nordkoreaner ins Land gekommen, um sie dabei zu unterstützen, Gehörlose in die Gesellschaft zu integrieren. Schon seit 1959 gibt es außerdem insgesamt acht Gehörlosenschulen im ganzen Land. Nur leider keine in Pjöngjang selbst. "Deswegen haben wir die Projektarbeit zunächst in Pjöngjang gestartet, da hier der Bedarf sehr hoch ist."

Mit "wir" meint Robert den nordkoreanischen Gehörlosenverband, der erst vor kurzem gegründet wurde. Ich bin positiv überrascht, wie aktiv die Nordkoreaner sich für die Belange von Menschen mit Behinderung einsetzen wollen. Zusammen haben sie so den ersten Gehörlosenkindergarten Nordkoreas ins Leben gerufen, der sich mitten im Stadtzentrum befindet.

"Nichts über uns ohne uns"

Um das Projekt umzusetzen, war es für Robert wichtig, mit Gehörlosen vor Ort zusammen zu arbeiten. Immerhin können sie am besten beurteilen, was wichtig ist und was benötigt wird. Empowerment lautet das Stichwort. Eine Angelegenheit, die Robert sehr wichtig ist. Das sehe ich daran, wie bestimmt er darüber spricht. "Mir ist es wichtig, dass gehörlose Menschen an Gesprächen teilnehmen. Ich weiß, dass die nordkoreanische Gesellschaft das anders sieht. Wenn ich also sehe, dass bei einer Arbeitsbesprechung keine nordkoreanischen Gehörlosen involviert werden, dann gehe ich wieder." Ich beginne zu verstehen, dass es wahrscheinlich genau diese Eigenschaft ist, die es Robert ermöglicht, Projekte in Nordkorea erfolgreich umzusetzen.

Zu Beginn seien die nordkoreanischen Gehörlosen verschüchtert und sehr zurückhaltend gewesen, berichtet Robert weiter. Mittlerweile gibt es Gebärdensprachdolmetscher, die sie unterstützen. Der ebenfalls neugegründete Gebärdensprachdolmetscherverband hilft ihnen dabei. Zusätzliches Selbstbewusstsein erhielten die nordkoreanischen Gehörlosen durch Reisen ins Ausland, um andere internationale Gehörlose kennenzulernen und Gehörlosenkongresse zu besuchen. Noch vor fünf Jahren wäre dies undenkbar gewesen.

Meinung des Volkes stark von Regierung beeinflusst

Die Bevölkerung steht hinter ihrer Regierung. Das schlägt sich vor allem in der Meinungsbildung nieder: Da die Regierung den Kindergarten sowie das Gehörlosenzentrum akzeptiert, nehmen die Nordkoreaner die Einrichtungen für blinde und gehörlose Menschen gut an.

"Wir haben tatsächlich noch viel Arbeit vor uns, da der Nachholbedarf einfach sehr hoch ist. Als ich damals nach Pjöngjang gezogen bin, das war 2013, gab es faktisch rein gar nichts. Es gab die Schulen, aber eben nicht in der Hauptstadt, sondern in den Provinzen. Die Eltern der gehörlosen Kinder wussten gar nicht, dass es überhaupt Gehörlosenschulen gibt. Das ändert sich nun vor allem durch die Akzeptanz der Regierung."

Arbeitsassistenz: Der Teufel steckt im Detail

Roberts Mission ist daher noch nicht beendet. Mögliche Folgeprojekte gibt es viele. So möchte er beispielsweise die allgemeine Bildungssituation für Gehörlose stärken, Gehörlosenschulen besuchen und höhere Bildungswege zugänglich machen. Ein weiterer Traum: Gebärdensprachdolmetscher für das nordkoreanische Fernsehen.

Seine Arbeit wird jedoch auf Umwegen durch die deutschen Behörden behindert. Schon seit zwei Jahren kämpft er um eine Arbeitsassistenz. Zwar hat Robert laut Gesetz einen Anspruch auf einen Gebärdensprachdolmetscher, allerdings nur im "grenznahen Ausland" und dazu gehört Nordkorea nicht. Robert hat daher kein Anrecht auf eine Arbeitsassistenz. Hilfe erhält er nur von freiwilligen Gebärdensprachdolmetschern. Aber die haben natürlich auch nicht immer Zeit.

Mir wird klar, dass dieser Sachverhalt in vielerlei Hinsicht anderen deutschen Gesetzen widerspricht. So zum Beispiel dem Recht auf eine freie Berufswahl, dem Verbot der Diskriminierung und nicht zuletzt der UN-Behindertenrechtskonvention. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden! Ein Grundsatz, den Robert lebt und trotz alledem bei seiner Entwicklungsarbeit behindert wird. Ich hoffe, dass er sich weiterhin in der Entwicklungsarbeit in Nordkorea engagieren wird. Das Land braucht Personen wie Robert. Aber so wie ich ihn kennengelernt habe, gibt es daran keinen Zweifel.

*Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Gebärdensprachdolmetscherin Anja!

Autorin: Melanie Günther

Mit freundlicher Genehmigung von:

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